"Tatort: Avatar": Analoge Ermittlungen im Cyberland

In "Tatort: Avatar" müssen sich die Ludwigshafener Kommissarinnen Odenthal und Stern in die virtuelle Welt des Cyberspace begeben, um den mysteriösen Tod zweier Männer am Rheinufer aufzuklären. Lohnt sich das Einschalten?

"Tatort: Avatar": Analoge Ermittlungen im Cyberland
© SWR/Christian Koch
"Tatort: Avatar": Analoge Ermittlungen im Cyberland

In "Tatort: Avatar" (7. Januar, 20:15 Uhr, das Erste) müssen sich die Kommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts, 62) und Johanna Stern (Lisa Bitter, 40) mit analogen Verbrechen auseinandersetzen, die ihren Ursprung in den digitalen Grauzonen des Internets haben. Dabei bleibt ihnen nur wenig Zeit, sich auf den standesgemäßen Abschied ihrer langjährigen Kollegen Edith Keller (Annalena Schmidt, 72) und Peter Becker (Peter Espeloer, 63) vorzubereiten.

Worum geht's im "Tatort: Avatar"?

Am Rheinufer wird ein toter Banker aufgefunden. Praktischerweise liefert seine Smartwatch präzise Angaben zum Zeitpunkt seines Todes, der durch Herzinfarkt eingetreten ist. Allerdings deuten die Spuren von Pfefferspray in seinen weit aufgerissenen Augen auf eine Gewalttat hin. Aufnahmen einer zufällig vorhandenen Überwachungskamera führen die Kommissarinnen schnell zu einer jungen Programmiererin, Julia da Borg (Bernadette Heerwagen, 46), die am Tatort angeblich nur Joggen war.

Auch wenn sie nichts gesehen haben will, bleibt sie vor allem Lena Odenthal von Anfang an suspekt. Bei einem Hausbesuch kommt heraus, dass sie im großen Stil Antidepressiva, Schlaftabletten und Aufputschmittel konsumiert, was Hinweise auf die Ursachen ihres sichtbar abgekämpften Gesamtzustandes liefert. Auch scheint sie sehr aktiv in Online-Foren zur Partnersuche unterwegs zu sein, wobei sie einen selbstprogrammierten Chatbot den größten Teil der Anbahnungsdialoge erledigen lässt.

Dass sie den vermeintlichen Unfalltod ihrer Ziehtochter Sina (Ziva Marie Faske, 15) nicht überwunden hat und diese unter Einsatz von modernster KI-Technologie als Avatar wiederauferstehen lässt, um weiterhin mit ihr kommunizieren zu können, lässt sie den Kommissarinnen gegenüber unerwähnt. Als es dennoch herauskommt, wird sie endgültig zur Hauptverdächtigen.

Nur wenig später taucht unweit des ersten Tatorts ein zweiter Toter auf, diesmal ein erstochener Schreiner aus Bayern. Dass Julia da Borg ihn ins Jenseits befördert hat und auch für den ersten Toten am Rheinufer zuständig war, wird dem Zuschauer bereits nach rund 25 Minuten offengelegt. Im weiteren Verlauf geht es nur noch darum, zu ergründen, worin ihre Motivation für diese Taten bestand. Um den Fall aufzuklären, müssen Odenthal und Stern die analoge Indizienwelt verlassen und sich in digitale Zwischenwelten begeben. Denn genau hier ist der Schlüssel zur Lösung dieses scheinbar undurchschaubaren Puzzles zu finden.

Lohnt sich das Einschalten?

Ja. Sich diesen Sonntagskrimi trotz all seiner offensichtlichen Defizite bis zum Ende anzuschauen, gebietet bereits die Höflichkeit des "Tatort"-Fans gegenüber den langjährigen Ludwigsburger Team-Mitgliedern Edith Keller (Sekretärin) und Peter Becker (Kriminaltechniker), die sich im Finale des Falls endgültig in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden.

Dem originell bodenständigen Abgang dieser beiden Charakterköpfe hätte man durchaus ein wenig mehr Platz einräumen können, denn der Rest dieses "Cyber-Thrillers" kann nicht wirklich überzeugen. Das liegt vor allem daran, dass das Drehbuch große Digital-Themen der Zeit, wie die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz, Cybergrooming und Identitätsdiebstahl im Internet auffährt, um sie dann auf eine erstaunlich altbackene und analog gedachte Weise in Szene zu setzen.

Schwer erträglich ist dabei auch die Art und Weise, wie hier die Lebenswelt der Jugendlichen aus dem Umfeld der mysteriös verstorbenen Sina dargestellt wird. Denn diese entspricht wohl eher den Vorstellungen des 69-jährigen Drehbuchautors Harald Göckeritz und des 55-jährigen Regisseurs Miguel Alexandre, als der wesentlich vielschichtigeren und lässigeren Realität.

Die jugendlichen Darsteller liefern überzeugende, schauspielerische Leistungen, müssen jedoch in zu vielen Szenen mit feschen Mützen und Holzfällerhemden ausstaffiert vor den Graffiti-Wänden eines Jugendclubs Dialoge führen, während ihre Interessen natürlich vor allem dem Skateboardfahren, Rapmusik und ihren Handys gelten. Vermutlich hätte der Einsatz Künstlicher Intelligenz bei der Entwicklung des Skripts und der visuellen Umsetzung der im Grunde gut gemeinten Sache gar nicht schlecht getan.

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