Unbekannte Shakespeare-Schwester: Altes Schriftstück in Archiv gefunden

Der berühmte Dramatiker hatte eine belesene Schwester, die lange Zeit völlig aus den Geschichtsbüchern verschwunden war, wie eine neue Studie über einen verschollenen Text nun enthüllt.

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© Hulton Deutsch@Getty Images
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Es handelt sich um einen verlorenen Brief, von dem lange Zeit angenommen wurde, dass er vom Vater des berühmten Schriftstellers stammt. Es handelt sich um ein Testament, aber nicht um irgendeines: Es ist ein religiöser Text, der seinen Verfasser dazu verpflichtet, einen guten katholischen Tod zu sterben, obwohl der Katholizismus im 16. Jahrhundert in England stark missbilligt wurde. In Wirklichkeit entpuppt sich dieser Autor, der die protestantische Macht herausfordert, als eine Autorin. Einer neuen Studie zufolge stammt dieses Schriftstück nämlich von Shakespeares jüngerer Schwester, einer Frau, die sich offensichtlich für das Schreiben interessierte, aber völlig aus der Geschichte gestrichen wurde und lange Zeit "praktisch unbekannt" geblieben ist.

In ähnlicher Weise hat zuletzt auch der Verkauf eines Briefes von Lady Diana für Aufsehen gesorgt, der brisante Enthüllungen enthält. Abgesehen davon hat auch eine weitere Enthüllung zuletzt für Aufsehen gesorgt - der Stammbaum von Meghan Markle, die Frau von Prinz Harry, soll tatsächlich bis zu Shakespeare zurückreichen.

Eine rätselhafte Unterschrift

Gehen wir zurück in die Vergangenheit. Im Jahr 1770 wurde in den Dachsparren des Hauses der Shakespeares in Stratford-upon-Avon ein Dokument versteckt gefunden. Damals wurde es von zwei Expert:innen des Dramatikers analysiert und dem 1601 verstorbenen Familienvater John Shakespeare zugeschrieben, der somit seinen katholischen Glauben geheim gehalten hätte, obwohl ihm die Folter drohte. Der Brief war in der Tat mit "J. Shakespeare" unterschrieben. Ein Wissenschaftler aus Bristol, der derzeit an einer Biografie des berühmten britischen Dramatikers arbeitet, hat jedoch herausgefunden, dass die Unterschrift in Wirklichkeit von seiner Schwester, der bisher unbekannten Joan Shakespeare, stammte.

Professor Matthew Steggle gelang diese Entdeckung dank der Tausenden von Dokumenten, die heute von Bibliotheken auf der ganzen Welt digital archiviert werden. Der Forscher stieß nämlich auf digitale Kopien eines äußerst seltenen italienischen religiösen Textes aus dem 17. Jahrhundert, der in jeder Hinsicht dem Brief entsprach. Mithilfe des Internets fand er Übersetzungen in sechs weiteren Sprachen, die in europäischen Bibliotheken verstreut waren. Dieser Brief scheint eine englische Übersetzung davon zu sein. Aufgrund des Datums des Originals wäre die Übersetzerin also sicher Joan gewesen, die von 1569 bis 1646 gelebt hat.

Wer war Joan Shakespeare?

Dieses Dokument ist insofern wichtig, als es die sexistischen und frauenfeindlichen Sitten der damaligen Zeit dokumentiert. Obwohl William Shakespeares Ruhm immens war und seine Werke überall auf der Welt erhältlich waren, hinterließ die fünf Jahre jüngere, belesene Schwester, die ihrem Bruder immer nahe stand, fast keine schriftlichen Spuren. "Es gibt nur sieben Dokumente, die sie überlebt haben und in denen sie namentlich erwähnt wird", zählt der Professor an der Bristol University auf, der hinzufügt, dass es keine Beschreibung von ihr gibt.

Virginia Woolf schrieb einen berühmten Essay darüber, dass eine Figur wie Joan Shakespeare niemals darauf hätte hoffen können, Schriftstellerin zu werden oder auch nur zu sehen, dass ihre Schriften erhalten bleiben, also wurde sie gewissermaßen zu einem Symbol für all die Stimmen dieser modernen Frauen, die verloren gegangen sind.

Es ist bekannt, dass Joan ihr ganzes Leben in Stratford-upon-Avon (heute eine wichtige Touristenattraktion) lebte, einen mittellosen Kaufmann heiratete und vier Kinder hatte. Sie soll ihren Ehemann um 30 Jahre überlebt haben und auch ihren Bruder, in dessen engem Familienkreis sie bis in ihre letzten Lebensjahre blieb. Der Autor der Studie berichtet, dass es üblich ist, dass Frauen aus den Archiven praktisch ausgelöscht werden. Der anfängliche Zuordnungsfehler könnte sowohl auf die damaligen Vorurteile gegenüber Frauen als auch auf eine schlechte Transkription zurückzuführen sein. "Es ist ein ziemlich häufiger Fehler, dass Leute, die handschriftliche Dokumente aus dem 17. Jahrhundert transkribieren, den Namen "Joan" fälschlicherweise als "John" interpretieren, vor allem, wenn man erwartet, darin den Namen eines Mannes zu sehen", bemerkt Matthew Steggle, dessen Arbeit in der Zeitschrift Shakespeare Quarterly veröffentlicht wurde.

Dass die Berichterstattungen rund um den berühmten Dichter nach wie vor die Menschen faszinieren beweist auch die britische Königsfamilie, die im letzten Jahr das 400-jährige Shakespeare-Jubiläum gefeiert hat.

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Verwendete Quellen:

Shakespeare Quarterly: "John Shakespeare’s 'Spiritual Testament' Is Not John Shakespeare’s"

Deutschlandfunk Nova: "Mysteriöses Schriftstück stammt wohl von Shakespeares Schwester"

Aus dem Französischen übersetzt von Ça M'Interesse

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